Pro und contra Autopoiese:
Selbstbehauptung nicht zur Barriere gegen Neues werden lassen
LESEPROBE
In diesem Beitrag beleuchten wir, wie und warum sich ein durch Geschäftserfolg und straffe Führung gefestigtes „System Unternehmen“ zunehmend autopoietisch, d.h. selbstreferenziell zu verhalten droht und dadurch eine geschlossene interne Vertrauenskultur entwickelt, die abweisend oder blind für Signale eines sich abzeichnenden Wandels der Erfolgsfaktoren ist.
Unternehmen erfolgreich zu führen, erfordert heute, unter hohem Effizienzdruck das eingespielte Zusammenwirken der Mitarbeiter, des Produktionsapparats und der Steuerungssysteme in Gang zu halten und immer weiter auf Leistungssteigerung hin auszurichten.
Das „System Unternehmen“ muss im Tagesgeschäft stabil funktionieren und seinen Erhalt durch umfassende Steuerung sichern – diese Fähigkeit muss ihm inhärent sein.
Wie bei einem biologischen System nennt man diese für das Überleben wichtige Fähigkeit „Autopoiese“, den Prozess der Selbstbehauptung. Er bedingt, wie im Unternehmen und mit der Umwelt kommuniziert wird, welche Verhaltensweisen im Umgang der Mitglieder des Unternehmens untereinander und mit systemexternen Einwirkungen eingeschlagen werden, was das „System Unternehmen“ für seinen Selbsterhalt als relevant ansieht und verwendet und was es ignoriert. Autopoiese nimmt das Bestehende als Referenz, als Denk-, Verhaltens- und Handlungsmuster für das Fortbestehen. Sie bewirkt eine selbstreferenzielle Entwicklung.
So weit, so gut. Autopoiese hat sich in der Natur meistens über lange Zeiträume bewährt. Dann aber plötzlich nicht mehr. Tierarten breiteten sich erfolgreich aus und gingen dann unter: Dinosaurier als bekanntestes Beispiel.
Für Unternehmen ist Autopoiese eine Stärke in Zeiten geringer Umbrüche im Umfeld, in denen eine profilierte Positionierung, die Zuverlässigkeit der eingespielten Leistung und die Konzentration auf die Kernkompetenzen des Unternehmens seinen Bestand und sein Wachstum sichern.
In Unternehmen, die diese selbstreferenzielle Kultur entwickelt haben, entstand typischerweise ein starkes Vertrauensklima, das aus der Beständigkeit der internen Spielregeln, aus dem gemeinsamen Erfolgserlebnis und dem Selbstbewusstsein resultiert, dass alle einvernehmlich wissen, worauf es ankommt – die Unternehmensführung ebenso wie die Mitarbeiter in den verschiedenen Funktionsbereichen.
Je stärker die selbstreferenzielle Unternehmens- und Führungskultur ausgeprägt sind, umso geringer ist jedoch die Bereitschaft, auf Anzeichen disruptiver Entwicklungen in einem sich zunehmend wandelnden Umfeld zu reagieren.
Denn Autopoiese bewirkt, dass das „System Unternehmen“ abweichende Signale nicht wahrnimmt, und zwar in allen Funktionsbereichen: die Vertriebsverantwortlichen nicht neuartige Signale aus dem Markt, von den Kunden, die Technikverantwortlichen nicht die Signale andersgearteter technischer Potenziale als die der etablierten Technologiefelder, die Strategen nicht die Signale sich verändernder Erfolgsfaktoren und die Unternehmensleitung nicht die Signale neuer Führungsanforderungen im Zuge der Globalisierung und der Digitalisierung.
Warum und wie Autopoiese in Zeiten starken Wandels den Unternehmen schadet, wird im Folgenden aufgezeigt.